Telmo Rodriguez - Cebreros
NEU im Programm: Viñas Viejas de Pegaso

Gredos: ergreifende Schönheit eines komplexen Terroirs
Seit der Jahrtausendwende sind die vernachlässigten alten Buschreben der Sierra de Gredos westlich von Madrid ein Magnet für einige der besten jungen Winzer Spaniens geworden. Eine nicht nur in landschaftlicher Hinsicht schöne, ja atemberaubende Region, die den Ruf besitzt helle, strahlende, unvergleichlich elegante Garnacha- und komplexe Albillo-Real- Weißweine hervorzubringen. Und das, ganz ohne DO-Status. Je rauer der Weinberg, desto unleserlicher die Notate. Es ist eine Art Ausdruck des Terroirs, ein direktes Spiegelbild der Steilheit des Hangs und des felsigen Bodens, eine Übersetzung des komplizierten Terrains in eine unverständliche Schrift. Notizen, die im glatten, polierten Médoc geschrieben wurden, sind leicht zu lesen. Und in Gredos? Nun ja …
Die Sierra de Gredos, westlich von Madrid, muss, nach langem Dornröschenschlaf und dem sehr verhaltenen, sehr leisen und nur eingeweihten bekannten Ruf als Geheimtipp weiterhin ohne eigene „Denominación de Origen“ auskommen. Ein Umstand, an dem sich wohl auch nichts mehr ändern wird. Dabei hätte sie das lange schon überfällige offizielle Siegel aufgrund ihrer leuchtend klaren, transparenten, spannenden Garnachas und ihrer frischen, salzigen Albillo Reals dringend verdient! Ungünstigerweise ist das Gebiet, das die Sierra de Gredos ausmacht, auf drei Provinzen aufgeteilt – Toledo, Madrid und …
Mehr Info » Ávila – und man kann sich gut vorstellen, dass sämtliche Vorstöße in Richtung eigener DO für Gredos fragende Gesichter, ein tiefes Seufzen und einen Griff zur Ablage „Z“ für „zu schwierig“ ausgelöst haben. So muss sich Gredos trotz seines individuellen Charakters und seines besonderen Terroirs mit drei verschiedenen DOPs begnügen, die alle auch andere Regionen einschließen: Cebreros, Méntrida und Vinos de Madrid – vier, wenn man Vinos de la Tierra de Castilla y León mitzählt. Da allerdings 70 bis 85 % dieser Region zu Cebreros gehören, Ávila Cebreros aber quasi umschließt, dürfte der DOP-Status das maximale Zugeständis an die Region Gredos sein. Die meisten Winzer legen Wert darauf, „Gredos“ irgendwo auf dem Etikett zu erwähnen, sei es auf der Rückseite oder auf der Vorderseite, aber eine Vereinigung von Erzeugern der Sierra de Gredos ist unter dem Druck widersprüchlicher Interessen zerbrochen, so dass verkaufsfördernde Maßnahmen – wie etwa ein gemeinsamer Aufkleber, ein gemeinsames Etikett am Flaschenhals, eine gemeinsame Flaschenform – in ferne Zukunft gerückt sind. Wie das Terroir, sind auch diese Dinge hier recht kompliziert.
IN STEIN GEHAUEN
Um die Angelegenheit noch etwas komplizierter zu machen: Gredos sieht einfach nicht wie eine Weinregion aus. Es gibt nicht sonderlich viele Weinberge, die meisten sind klein und liegen verstreut, hier ein halber Hektar, dort eine Lücke im dichten Wald oder an einem nach Norden ausgerichteten Hang. Viele sind zudem vor langer Zeit aufgegeben worden. Gredos erlebte seine letzte Blütezeit in den 1960er- und 70er-Jahren (die von hippen Sommeliers und „Weinfluencern“ im Internet zusammengesponnenen Weisheiten, dass es hier bis vor 40 Jahren keinen Wein gegeben habe, sind so substanziell wie ihre Inverkehrbringer von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt) – und seitdem ging’s bergab. Bis dann einige der unternehmungslustigsten Winzer Spaniens die alten Reben und die schwer zugänglichen Weinberge wiederentdeckten. So ein halber Hektar halbverlassener 60 Jahre alter Garnacha-Rebstöcke, bewachsen mit Lavendel und Fenchel, von Gletscherblöcken durchsetzt und nur mit Maultieren zu bearbeiten, ist ein gefundenes Fressen für Leute wie Telmo Rodríguez, der 1999 als erster hierherkam und von der Schönheit des Ortes begeistert war. Rodríguez folgten andere, und mittlerweile hat ihre Zahl eine gewisse kritische Masse erreicht. Keiner von ihnen besitzt viele Weinberge – Telmo, mit seinen etwa 13 Hektar, schätzt, dass er wahrscheinlich der größte ist, „ich habe aber 15 Jahre voller Katastrophen und Misserfolge hinter mir“. Nicht etwa, weil die Weine nicht gut waren, sondern weil er mit ihnen Geld verloren hat: „Der Markt wollte keine 25 Euro pro Flasche für einen Wein aus Gredos akzeptieren. Und wenn man mit jeder Flasche Geld verliert, ist die Anzahl der Hektar, die man kaufen und halten kann, natürlich ziemlich überschaubar.“
Es gibt viele Orte, an denen man nach solchen alten Reben suchen kann. Gredos besteht aus drei Tälern, die alle von Gletschern geformt wurden und mit riesigen Granitblöcken übersät sind, die beim Rückzug der letzten Gletscher zurückgeblieben und manchmal zu Formationen, Köpfen, Gesichtern verwittert sind, die ein wenig an die Moai auf den Osterinseln erinnern. Im Süden befindet sich das Tiétar-Tal mit regnerischen Frühlingen und heißen Sommern, Granitböden und grünen Wiesen. In der Mitte liegt das Valle del Alberche mit einem trockeneren, „mediterranen“ Klima, Weinbergen in etwas höheren Lagen (600 bis 900 Meter) und Granitböden. Das nördliche Tal, Valle Alto Alberche, ist von einem extremeren, kontinentalen Klima, Weinberge auf 1000 bis 1250 Meter) und Böden aus reinem Granit und Quarz geprägt. Der Granit, selbst in den massiven Felsblöcken mit Überhängen, die groß genug sind, um darunter zu picknicken, ist bröckelig – man kann ihn mit den Fingern abreißen und auseinanderbrechen. Der Boden besteht aus grobem Granitsand mit vielleicht 0,1 % organischer Substanz und kann bis zu drei Meter tief sein, bevor er auf Felsen trifft, oder auf den Hügeln so flach, dass der Pflug auf Felsen stößt. In den Regionen, in denen der Granit in Schiefer übergeht – zum Beispiel um die Stadt El Tiemblo – ist letzterer ebenfalls brüchig und ergibt Weine mit mehr „oomph“, komplexer als solche von reinen Granitböden. Schieferweine heißt es, seien allerdings leichter zu verstehen, Granitweine hingegen subtiler.
Granit ist hier für sehr unmittelbare, schlanke, geradlinige Weine verantwortlich, der Schluffanteil im Boden sorgt für die Länge. Der Schlamm hält auch das Wasser besser zurück und sorgt für Ausgewogenheit in heißen Jahren. Und natürlich sprechen wir hier von verschiedene Arten von Granit. So manch ein Winzer ist davon überzeugt, dass brauner Granit für Komplexität sorge, weißer Granit für Mineralität und rosa Granit für Frucht. Untersuchungen haben jedenfalls eine Korrelation zwischen der Größe der Quarzkristalle im Granit und den Tanninen im Wein ergeben: Je kleiner die Quarzkristalle, desto feiner die Tannine (die kleinsten Kristalle haben die Größe eines Salzkorns, die größten sind vielleicht einen Zentimeter groß). Warum das so ist, liegt noch im Dunkeln. Dass es so ist, lässt sich beweisen. Wenn schon die Bodenprofile kompliziert sind, so ist es das Wetter noch mehr. Hier gibt es Berge und Täler, und nichts ist einfach. Hier ist es windig, dort ist es windgeschützt, hier ist es trocken, dort regnerisch, hier weht der „africano“, der heiße Wind aus dem Süden, der im Juli oder Anfang August kommt, hier herrschen im August nachts Temperaturen um die 16 °C, während es dort 14 °C sind, hier beginnt die Reifezeit für den Garnacha um den 10. August, während es dort Ende August wird – aber falls man den Überblick verliert sollte, ist die Vegetation ein guter Indikator. Nach nur wenigen Kurven auf der AV-502 (oder AV-561) kann sich das satt-grüne Panorama mit seinen Kastanien, Pappeln und Zistrosen in eine ausgetrocknete Landschaft mit spärlichen gesäten Steineichen, Schirmkiefern und wilden Fenchelsträuchern verwandeln. Und natürlich sind die unterschiedlich hoch gelegenen Lagen ganz entscheidend für den Stil der Weine. Ein vino de la Sierra de Gredos, dessen Trauben in 700 Metern Höhe wachsen, schmeckt anders als ein Wein, dessen Reben auf 1200 Metern stehen.
VOM TEUFELSKREIS ZUM KREISLAUF DER REBSORTEN
Die Reblaus kam hier recht spät, in den 1930er-Jahren an. Nur kurze Zeit später dann der Bürgerkrieg. Aber die Region lieferte ziemlich unbeirrt Wein nach Madrid – es gab viele Weinberge, und jedes Dorf hatte seine Genossenschaftskellerei. Als dann die Eisenbahn von Valdepeñas in die Hauptstadt fertiggestellt wurde, dämmerte den Winzer aus Gredos bald, dass ihre schwer zu bearbeitenden, oft terrassenförmig angelegten Weinberge nicht wirklich konkurrenzfähig waren. Die Region gereit immer mehr in den Teufelskreis aus niedrigen Preisen und sinkender Nachfrage.
Noch in der ersten Dekade der 2000er konnte man einen Liter Garnacha von alten Reben für 60 Cent bei der örtlichen Genossenschaft kaufen, die den Erzeugern 10 bis 15 Cent für ein Kilo Trauben zahlte. Die Genossenschaft in San Martín de Valdeiglesias etwa verarbeitete in den 1990er-Jahren über 15.000 Tonnen Trauben pro Jahr; in den 2000er Jahren waren es nur noch 3.300 Tonnen, mittlerweile sind noch 330 Tonnen.
Es liegt auf der Hand, dass sich hier ambitionierte Winzer auf alte Garnacha-Reben stürzen, sich an der rauen Schönheit der Landschaft erfreuen und Erträge von 20-25 hl/ha für Garnacha und weniger, vielleicht 10-15 hl/ha für Albillo Real, in Kauf nehmen. Genauso nachvollziehbar ist die Tatsache, dass hier biologischer und biodynamischer Weinbau de rigeur sind, wenn auch meist ohne Zertifizierung. In den Kellern wird ausschließlich mit natürliche Hefen gearbeitet – auch das versteht sich quasi von selbst. Weniger selbstverständlich ist, dass die Trauben häufig mit den Füßen gestampft werden – sanfte Extraktion über alles! Dabei kommen alle möglichen Arten von Gärbehältern zum Einsatz: alter Beton in alten Genossenschaftskellern, Edelstahltanks von winzig bis klein, Plastikwannen, Eier, Amphoren, Holz in verschiedenen Formen und Größen, aber fast immer gebraucht. Erklärtes Ziel: Zartheit, Frische und Leichtigkeit in Verbindung mit Konzentration der Frucht. Und hier brilliert die DOP, ist tatsächlich ganz vorne dabei! In Händen dieser begabten Winzer entpuppt sich Garnacha als enorm aromenintensiv, reich an Noten von Hagebutten und Lavendel, Weihrauch und Thymian, Veilchen und Fenchel, dabei griffig, dicht und mit einer famosen Innenspannung. Kein Hauch von Marmelade, weder Aachener Pfümli noch Trockenfrüchte mit Schokoladenkuvertüre! Diese Garnacha ist so kristallin und makellos wie ein Pinot Noir. Es sind extreme Weine. Extrem burgundisch? Das häufig auch!
UNBEKANNTES, UNVERGLEICHLICHES TERROIR
Es waren die Weinberge, die neue Winzer anlockten: immer die Weinberge und die Landschaft. (Sie haben auch heute noch dieselbe Wirkung auf Besucher: Muss ich wirklich nach Hause gehen? Kann ich nicht einfach hier leben?) So mancher Winzer verbrachte seine Nachmittage damit, mit Hilfe von Google Maps dem einen oder anderen Schäfer hinterherzufahren, der ihnen sagte, ja, dort oben gebe es Weinberge, aber es lohne nicht, weil es sehr schwierig sei, dorthin zu gelangen. Und noch dazu sei der Wein nicht sonderlich gut – also fährt man hinauf. Und dann besuchte man die Tavernen der umliegenden Ortschaften, um herauszubekommen, wer die Besitzer dieser verwunschenen Parzellen sind. Und Sie dann zum Verkauf zu bewegen. Telmo weiß aus eigener Erfahrung, dass das nicht ganz einfach ist: „Man muss auf eine sehr nette Art und Weise vorgehen, langsam anfangen und die Leute kennenlernen.“
Telmo begann hier Ende der 1990er, der erste Wein seines Pegaso- Projekts – noch heute wird er gefragt, ob er an das geflügelte Pferd aus der griechischen Mythologie oder die spanische Automobilmarke, Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs gedacht hat – „Barrancos de Pizarra“ wird 1999 als Vino de la Tierra de Castilla abgefüllt. 20 Jahre später ist daraus ein Wein der DOP Cebreros geworden. DIe Zukunft ist zum Greifen nah!