Winzer*in |
Rodrigo und Asier Calvo
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Region |
Ribera del Duero
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Rebfläche |
65ha
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Bio-Kontrollstelle |
Bio
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Rebsorten |
Tempranillo, Garnacha, Albillo Mayor
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Beste Lagen |
Casablanca, El Olivo, Canteras
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Zusammenarbeit |
2025
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Prolog
Die Ribera del Duero ist ein Land der Extreme. Kalte, karge Winter wechseln sich mit glühend heißen Sommern ab, die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sind brutal, und doch schenkt genau diese Härte Weine von einzigartiger Schönheit. Seit den Römern, die hier ihre Legionen mit Wein versorgten, hat die Region unzählige Höhen und Tiefen erlebt – das Schweigen während der maurischen Herrschaft, die Rückkehr der Reben durch die Klöster des Mittelalters, den Glanz des „Siglo de Oro“, die Verwüstungen der Reblaus und schließlich die Wiedergeburt in den 1980er-Jahren, als die Ribera del Duero begann, der Welt zu zeigen, welch Größe in ihr steckt. Heute ist sie eine Appellation mit über 300 Weingütern, doch die wahre Kraft dieser Landschaft liegt in den Menschen, die sie mit Leben erfüllen.
Rückblende
In Gumiel de Mercado, einem kleinen Ort mit großer Tradition und Historie, beginnt die Geschichte einer Familie, die seit neun Generationen untrennbar mit dem Weinbau verbunden ist. Ein unscheinbares Dokument bezeugt diese lange Linie: Am 28. Mai 1887 verkaufte Eugenio Arroyo García einen Weinberg an seinen Bruder Ángel Arroyo García und dessen Frau Serapia Cantero Quirce – die Ururgroßeltern mütterlicherseits von Asier und Rodrigo Calvo. Ein Blatt Papier, das zu einem Stück lebendiger Erinnerung geworden ist, denn aus solchen Wurzeln erwächst ein Gefühl von Kontinuität, das bis in die Gegenwart reicht. Rosa Arroyo und Moisés Calvo haben dieses Erbe, als sie 1999 die Weinberge ihrer Familien übernahmen, bewahrt und gepflegt. Gemeinsam mit ihren Söhnen Rodrigo und Asier gründeten sie 2003 Bodegas Arrocal – ein modernes Weingut, das zunächst klassische, kraftvolle Ribera-Weine hervorbrachte.
Die Rückkehr des Vergessenen
2019 wagten Rodrigo und Asier einen Schritt, der nach Seitenprojekt aussah, sich aber bald als Schlüssel zu einer grundlegenden Wende entpuppen sollte: Die beiden gründeten Casa Lebai. Mit Casa Lebai wollten sie das „kollektive Gedächtnis“ ihres Heimatdorfes aktivieren, vergessene Weinberge restaurieren, alte Rebsorten bewahren und historische Keller aus dem 15. und 17. Jahrhundert wiederbeleben. Hier wurde nicht experimentiert, sondern erinnert: an eine Zeit, in der Weine mit den Füßen gestampft, spontan vergoren und ohne Maskerade ausgebaut wurden. Hier wurde eins Vermächtnis in die Zukunft überführt! La Nava, El Portillo, Matadiablos – drei Weinberge, drei Stimmen, drei Botschaften aus der Vergangenheit, die sich im Glas in feine, elegante, präzise Weine verwandelten. Weine, die mit ihrer subtilen Sprache etwas ganz anderes erzählten als das Bild der kraftstrotzenden Ribera.
Der Erfolg war überwältigend. In kürzester Zeit erregten die Weine Aufsehen, weil sie einen Blick in eine andere Welt eröffneten: eine Ribera, die nicht auf Wucht setzte, sondern auf Balance, Eleganz und Herkunft. Und genau hier begann das, was man heute als die Neugründung von Arrocal bezeichnen kann.
Ein zweites Erwachen
2023 änderte sich alles. Die Brüder übernahmen die technische Leitung von Arrocal vollständig und entschieden, dass das Erbe des Familienweinguts nur dann eine Zukunft haben könne, wenn es denselben kompromisslosen Weg ginge wie Casa Lebai. Mit einem Mal war Arrocal nicht mehr das, was es vorher war. Die Brüder begannen bei null, mit einer gründlichen Untersuchung ihrer 65 Hektar Rebflächen. Nicht nur Böden und Ausrichtungen wurden kartiert, sondern auch Ökosysteme, Mikroklimata und die Geschichte der einzelnen Parzellen. Entstanden ist eine Klassifizierung, die an burgundische Pendants erinnert, auf Basis einer Karte ihres Dorfes, in der jedes lieu-dit verzeichnet ist, jedes Potenzial sichtbar wird.
Weine ohne Make-up
Doch Theorie allein genügt nicht. Um den Weinen eine klare Sprache zu verleihen, setzten sie auf radikale Schlichtheit im Keller. Alle Weine, ob einfach oder groß, durchlaufen denselben Weg: Gärung mit eigenen Hefen, Reifung über zwölf Monate in gebrauchten, neutralen Fässern, keine Maskerade durch Holz, keine technische Kosmetik. Hier soll die Herkunft sprechen, nicht der Kellermeister. 2023 war ein schwieriges Jahr, trocken und fordernd, das von Regenfällen im September gerettet wurde. Und doch gelang es den Brüdern, deren Weinberge erstmals biozertifiziert wurden, moderate Erträge zu erzielen. Das Ergebnis war ein Debütjahrgang von beeindruckender Reinheit und Klarheit, der aufs Nachdrücklichste (und Schönste!) beweist, dass Arrocal so etwas wie die „winery zero“ einer neuen Epoche der Ribero del Duero ist.
Zwei Wege, ein Ziel
So stehen sich heute zwei Projekte gegenüber, die in Wahrheit zwei Seiten derselben Medaille sind. Casa Lebai ist Erinnerung, ein Blick zurück, eine Hommage an das Vermächtnis der Vergangenheit, Arrocal hingegen ist die Gegenwart, anspruchsvoll, ganzheitlich, präzise im Ausdruck, das mit aller Konsequenz in Wein und Flaschen „übersetzte“ Terroir von Gumiel de Mercado, die Essenz der Heimat. Die eine Stimme erzählt von alten Kellern, seltenen Sorten und den Pfaden der Vorfahren. Die andere von Karten, Klassifikationen, Ökosystemen und der Kraft einer Landschaft, die sich neu zu erfinden scheint.
Gemeinsam jedoch formen beide ein einzigartiges Narrativ. Sie zeigen, wie die Ribera del Duero heute klingt, wenn man sie mit Respekt vor der Vergangenheit und Mut zur Gegenwart interpretiert. Sie beweisen, dass Tradition und Innovation keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig befruchten. Und sie machen erfahrbar, dass ein Glas Wein weit mehr sein kann als ein Getränk – es kann Kultur und Landschaft, Erinnerung und Zukunft zugleich enthalten.
Wer die Weine von Arrocal und Casa Lebai probiert, schmeckt nicht nur Tempranillo oder Albillo. Er schmeckt die Kühle der Nordhänge, die Kraft der Kalkplateaus, die Eleganz der alten Reben, die Geschichten der Ahnen, die Vision zweier Brüder. Es ist ein Erlebnis, das die Ribera del Duero von ihrer verletzlichsten, ehrlichsten und zugleich schönsten Seite zeigt. Und das Herz von Gumiel de Mercado für die Welt öffnet.