
Rheingau
Mehr Info » den Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse”, urteilt Manfred Lüer zutreffend in dem von ihm verantworteten Kapitel über den Rheingau in Stuart Pigotts neuem, höchst informativen und über 700 Seiten starken Standardwerk „Wein spricht deutsch”.
Wenn also die heutige Realität des Rheingaus trotz seines gigantischen natürlichen Potentials infolge hausgemachter Probleme in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten nicht ganz dem Glanze früherer Zeiten entspricht, so finden wir hier doch den Ursprung der deutschen Riesling-Kultur. Ohne die Entdeckung und Optimierung der späten Lese edelfauler Trauben sowie die Einführung der Riesling-Monokultur im 18. Jahrhundert durch die Mönche von Eberbach und Johannisberg hätte der Weinbau in Deutschland wohl kaum die Bedeutung und weltweite Reputation erlangt, die er zu Ende des 19. Jahrhunderts inne hatte und die er heute – mit der in aller Welt zu beobachtenden fulminanten Renaissance des deutschen Rieslings – zurück zu erobern beginnt.
Doch zweifellos litt diese traumhaft schöne Region zwischen Wiesbaden und Rüdesheim mit ihren herrlichen Schlössern und aristokratischen Weingütern unter einer Schwächeperiode einiger der berühmten Adels- und staatlichen Weingüter, deren Abstieg in die Mittelmäßigkeit in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts begann, als man sich den ,Segnungen’ der angeblich modernen Weinbereitung (chemische Düngung und hohe Erträge, Vernachlässigung der harten handwerklichen Weinbergsarbeit, stattdessen Mechanisierung) hingab und somit die Weine ihres unnachahmlichen Charakters beraubte. Viele der einstigen Wein-Kulturdenkmäler setzten zudem leider auf die vermeintlichen Errungenschaften der modernen Kellerwirtschaft: Masse statt Klasse war häufig die Folge. Zu oft zehrten seither viele höchst mittelmäßige und überteuerte Weine von nichts anderem als dem Ruhm längst vergangener Tage, auch wenn sie von renommierten Lagen stammen. Daher kommen heute die besten Rieslinge des Rheingaus mit ihrem erdig-mineralischen Charakter, ihrer intensiven Frucht und ihrer eleganten Säure zweifellos von jungen ehrgeizigen Winzern aus Familienbetrieben, die selbst dann zumeist schmackhaftere Weine hervorbringen, wenn sie nur über durchschnittliche Parzellen verfügen – im Unterschied zu den gerühmten Prestigelagen.
Wenn dann jedoch – wie im Falle des ebenso sympathischen wie ehrgeizigen Johannes Leitz – auch erstklassige Parzellen im Herzstück des berühmten Rüdesheimer Terroirs hinzukommen, wird klar, dass die Wachablösung im Rheingau längst vollzogen ist. Leitz ist zweifellos der neue Spitzenwinzer des Rheingaus! Gerhard Eichelmann, „Deutschlands Weine 2007”, urteilt begeistert: „Johannes Leitz hat die beste Weißweinkollektion Deutschlands des Jahrgangs 2005 vinifiziert!” Stuart Pigott wertet: „Das ist wahrer Rheingauadel!” Und der Gault Millau meint: „Kaum ein anderer deutscher Riesling-Erzeuger schaffte es in den letzten Jahren, solch brillante Kollektionen aufzutischen wie der junge Rüdesheimer”. So lassen Josis ungemein harmonische, trockene wie fruchtsüße Weine, aller mediokren Massenware zum Trotz, die Bewertung von Hugh Johnson in seinem berühmten Weinatlas verständlich werden: „Im Rheingau erreicht der Weinbau seine höchste Vollendung. Der Rheingauer kann in seiner Bestform den edelsten Charakter aller deutschen Weine erreichen. Er vereint in sich den blumigen Duft des Rieslings mit einem kräftigen, mineralischen Charakter.”
So gehen auch heute (wieder) vom Rheingau wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Qualität und die Steigerung des Ansehens deutscher Weine aus. Hier möchte ich neben Josi Leitz ausdrücklich den ungemein sympathischen, leider viel zu früh verstorbenen Bernhard Breuer nennen, dessen Tochter Theresa sein Werk heute mit großer Kennerschaft fortsetzt, dazu den großartigen Öko-Winzer Peter Jakob Kühn sowie Franz Künstler und speziell im edelsüßen Bereich Robert Weil und einige andere höchst engagierte Winzer. Und auch aus den Reihen des alten Rheingauer Adels kommen vereinzelt endlich wieder absolute Spitzenweine, die mich faszinieren; insbesondere die jüngsten Jahrgänge von Schloss Johannisberg erbringen großartige Rieslinge und knüpfen zweifellos an die früheren glorreichen Zeiten an.
Doch einige der großen Probleme der Region bleiben. Sie ließen sich beispielhaft bei der Einführung des Ersten Gewächses beobachten – der eigentlich überzeugenden Idee, die Spitzenlagen und ihr phantastisches Potential, die es erlauben, Rieslinge auf absolutem Weltklasseniveau zu erzeugen, prestigeträchtig herauszustellen. Doch leider hat ein großer Teil der bislang produzierten Ersten Gewächse diese Bezeichnung nicht verdient und die geniale Idee verkommt häufig genug zum plumpen Marketinginstrument. Kein Wunder, wenn man weiß, dass sage und schreibe ein Drittel der gesamten Anbaufläche als dieser Auszeichnung „würdig empfunden” wurde, während einige der größten „Grand-Cru-Lagen”, wie der Rauenthaler Nonnenberg von Breuer, ausgeklammert wurden. Skandalöse Fehleinstufungen, die dringend der Korrektur harren!
Geographisch gesehen setzt sich der Rheingau, dieses so traditionsreiche Rieslingbollwerk, zusammen aus einer lang gestreckten Reihe von Weinbergen (nach Norden hin vor kalten Winden durch die Taunusberge geschützt, nach Süden durch die Reflexion des Rheins erwärmt) zwischen Wiesbaden, wo der Rhein seine 90-Grad-Kurve nach Westen beginnt, über Rüdesheim, wo er zwischen steilen Felsen wieder nach Norden hin abbiegt, bis nach Lorch. Der durch den Rheingraben entstandene, etwa 30 Kilometer lange Südhang bietet optimale Bedingungen für den Weinbau und eine Fülle guter bis hervorragender Weinberge macht deutlich, warum der legendäre Ruf der deutschen Rieslinge in dieser begnadeten Region begründet wurde. Die geologischen Formationen aus Quarzit, Schiefer, Lehm-Löss, Mergel oder Sandstein sind facettenreich und ihre Vielschichtigkeit bürgt in idealer Weise für einen komplexen, mineralischen Charakter. In den enorm steilen, südlich exponierten Hangparzellen bei Rüdesheim („von hier stammen die elegantesten und stilvollsten Weine der Region”, Stuart Pigott) produziert Johannes Leitz seine phänomenalen Rieslinge, deren fruchtbetontes, rassiges Säurespiel sich mit einer komplexen mineralischen Struktur zu einer harmonischen Vollkommenheit vermählt und damit geradezu zu einer Essens des Rheingauer Rieslings: Fabelhafte Weine mit den klassischen Tugenden einer der traditionsreichsten Anbaugebiete der Welt, die in ihrer Eleganz stilistische Ähnlichkeiten mit den besten Moselaner Gewächsen aufweisen, jedoch eine reifere Säure und einen fülligeren Körper besitzen: Rieslinge auf absolutem Weltklasseniveau mit einem faszinierenden Paradoxon von Kraft und Finesse. Zweifellos, „der Rheingau, dieses Ehrfurcht gebietende Riesling-Urstromland im Rheinknie, ist der Archetypus einer deutschen Weinkulturlandschaft” (Manfred Lüer) und unüberschmeckbar sind die Spitzenwinzer auf dem Weg in eine verheißungsvolle Zukunft, indem sie sich auf die Wurzeln ihrer einstigen großen Erfolgsgeschichte zurückbesinnen: Ihre Reben wachsen auf einem der besten Rieslingterroirs der Erde!
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