Scarpa
„Tettineive“ DOCG Barbaresco, rosso 2021

Ein großer Nebbiolo sollte seine Herkunft widerspiegeln – eine Erkenntnis, die uns heute selbstverständlich erscheint, im historischen Kontext aber bemerkenswert jung ist. Denn das Konzept des Einzellagen-Weins, wie es in Deutschland oder im Burgund seit jeher gepflegt wird, hielt im Piemont erst spät Einzug. Noch bis in die 1960er-Jahre hinein wurden Barolo und Barbaresco aus Trauben verschiedener Lagen assembliert. Erst als immer mehr Winzer begannen, ihre Weine selbst auszubauen und zu vermarkten – statt ihre Trauben an Genossenschaften oder Händler zu liefern –, nahm die Zahl der Cru-Weine stetig zu. Heute spricht man viel über die charakteristischen Unterschiede der Barbaresco-Dörfer und die stilistischen Divergenzen zwischen Traditionalisten und Modernisten. Doch die wahre Vielfalt zeigt sich in den feinen Nuancen der einzelnen Lagen. Ein Musterbeispiel dafür ist dieser Barbaresco „Tettineive“ aus dem Hause Scarpa – ein Wein, der seine Herkunft mit nobler Klarheit und präziser Eleganz zum Ausdruck bringt, ein Charakterwein von seltener Balance zwischen Kraft und Finesse. Schon sein leuchtend granatrotes Kleid verrät die Strahlkraft des Jahrgangs 2021 und lädt zum tiefen Eintauchen in ein Bouquet ein, das gleichermaßen fein wie vielschichtig erscheint: Veilchen und Lakritz, Tabak, ein Hauch von Balsamico und getrockneten Kräutern entfalten sich mit zunehmender Belüftung zu einer vielschichtigen, verführerisch duftenden Komposition. Der Wein stammt von einem Südhang oberhalb des Ortes Neive, rund 400 Meter über dem Meeresspiegel – ein Terroir, dessen sandige Böden und alte Reben, gepflanzt zwischen 1968 und 2008, aromatische Transparenz und subtile Spannung erzeugen. Seit 1974 gehört der „Tettineive“ zum Portfolio von Scarpa, zunächst unter dem poetischen Namen „Tetti di Neive“, den „Dächern von Neive“ – eine Hommage an die Höhenlage des Weinbergs und den weiten Blick über die Landschaft des Barbaresco. Die Vinifikation folgt der klassischen, handwerklichen Schule: Nach sorgfältiger Handlese wurden die Trauben entrappt und 23 Tage auf den Schalen vergoren. Der biologische Säureabbau erfolgte im Edelstahl, anschließend reifte der Wein 24 Monate in einem 45-Hektoliter-Fass aus Allier-Eiche und durfte danach ein weiteres Jahr in der Flasche ruhen. In der Nase zeigen sich rauchige Nuancen von roten und schwarzen Beeren, Schlehen vor allem, trockenem Holz und altem Leder, zart unterlegt von einem Hauch Süßkirsche, der dem Wein eine verführerische Tiefe schenkt. Am Gaumen ist der „Tettineive“ kraftvoll und geschliffen, getragen von festen, seidigen Tanninen und einer feingliedrigen, klaren Säure, die ihm Struktur und Frische gibt. Trotz seiner Fülle bleibt er kühl, klar und aristokratisch in seiner Haltung. Sein Abgang ist lang, tief und mineralisch, in vollkommener Balance. Ein fabelhafter Vertreter der Appellation Barbaresco, der zeigt, wie filigran und zugleich ausdrucksstark Nebbiolo sein kann – heute schon beeindruckend, doch mit großem Potenzial: ein zeitlos-eleganter Barbaresco, der seine Herkunft unverwechselbar widerspiegelt.