AT-BIO-402
Struktur und Herkunft kommen vor der Rebsorte. 96 Punkte – JAMES SUCKLING | 17+ Punkte – JANCIS ROBINSON
Ist man kein Geologe, dann bekommt man bei dieser östlich des Heiligensteins gelegenen Weinberglage schnell den Eindruck, dass sie ein bisschen was von allem mitbringt: Im unteren Teil liegt stark kalkiger Tschernosem über Kies, im oberen Teil wiederum stehen Gneis und Amphibolit im Mittelpunkt, allenfalls sind Reste von Löss erhalten. Tatsächlich ist das Geheimnis der besten Lagen des Kamptals die Mischung aus fruchtbaren Böden und mineralischen Rudimenten, die in perfekter Weise zusammenspielen. Als letzter Ausläufer der sogenannten Böhmischen Masse fließt aber gleichsam auch ein kühler Zug durch den Gaisberg, auch wenn die ausgeprägte Süd-Exposition für die Reife der Trauben sorgt. Dass die biodynamisch kultivierten Rebstöcke zudem bereits in das fünfte Jahrzehnt gehen, trägt zur besonderen Ausdrucksfähigkeit der Weine von dieser Lage Hannes Hirschs bei. Diese Pflanzen müssen nichts mehr beweisen. Auch der Ertrag ist hier nicht das Thema – sondern der perfekte Ausdruck des Terroirs.
Hier darf man den Flascheninhalt gerne vor dem Servieren in die Karaffe umfüllen – denn der Kräutergarten, der dann erblüht, ist wahrlich „riechenswert“. Etwas Rosmarin geht nahtlos in einen Mohn-Cracker über, die subkutane Botschaft dieser botanisch-expressiven Würzigkeit ist klar: Beim „Gaisberg“ 2022 stehen Struktur und Herkunft über der Sorte. Fruchtigkeit ist quasi überbewertet, würde die Generation Y dazu sagen. Denn erst nach einiger Zeit entdeckt man etwas Ananas, kühle Birnen-Stücke, doch auch die botanische Seite hat im Glas mit Akkorden von Zitronenmelisse und Estragon offenbar neue Aroma-Legionen rekrutiert. Am Gaumen darf dann etwas Mango, gerade noch unter der Vollreife und daher mit herbaler Frische verbrämt, vorlegen. Doch schon dahinter bremst ein Quäntchen Salz jede übertriebene Fruchtigkeit aus. Wo dieser Grüne Veltliner seinen Platz an der Tafel hat, zeigt sich ab der Gaumenmitte: Etwas Safran, wieder kühle gelbe Früchte und gleichsam die flüssige Antithese zu Süße ergeben einen Speisenbegleiter zu gebackenen Innereien, besonders Bries und Hirn (Psst! Falls jemand auch Stierhoden in die Panade legt – ein himmlisches Match erwartet Sie!). Wem das ein wenig zu viel der Nachhaltigkeitsküche von Maul bis Schwänzchen ist: Auch Gelbes Curry, gerne fleischlos, oder ein Linsen-Dal bringen mit der Kamptaler Begleitung ebenfalls vervielfachten Genuss.
Ab sofort bis 2034.
Die kräutrigen Noten des „Gaisberg“ 2022 erzählen schon im Duft von der Herkunft aus einer kühleren Lage des Kamptals. Raffinesse am Gaumen ist garantiert!