Schäfer-Fröhlich, Felseneck Riesling Kabinett 2022

Wenn man im deutschen Weinbau die Kategorie der am „meisten unterschätzten Weine" einführte, lägen wahrscheinlich viele Weine mit dem Prädikat „Kabinett" auf den vorderen Plätzen. Die deutsche Besonderheit, restsüße Weine mit ziemlich wenig Alkohol und ziemlich viel Säure zu keltern – besonders gut geht das natürlich mit dem ebenso aromatischen wie hoch lebendigen Riesling – bringt regelmäßig herausragende Weiße hervor, die verblüffend tief und konstant unter der Wahrnehmungsschwelle vieler Weinfans hindurchsegeln. Am Preis kann das nicht liegen: Viele Kabis sind für das, was sie bieten, geradezu unverschämt günstig – das gilt ganz besonders an den hier präsentierten 2022er Felseneck Riesling Kabinett vom großartigen Tim Fröhlich. Woran liegt diese mangelnde Würdigung also? Vielleicht sind alle, die über Wein schreiben, also auch wir, ein wenig mit schuld daran, singen wir doch seit Jahrzehnten das Hohelied der trockenen Weine. Angesichts der deutschen Weinbauvergangenheit mit intensiv verwendeter Süßreserve ist das verständlich – aber heute nur noch ein Anachronismus. Trockene Weine sind in Deutschland mittlerweile Standard, fruchtsüße Kabinett eine wunderbare Spezialität, die unfassbar viel Trinkspaß ohne Reue bietet, denn bei hyperschlanken sieben Volumenprozent Alkohol lauern weder vorzeitige Trunkenheit noch übles Erwachen. Doch nun zum Felseneck Riesling Kabinett von Schäfer-Fröhlich, der aus einer herausragenden, von Schiefer geprägten Lage stammt. Das ist karger Boden, optimal geeignet für tiefgründige Rieslinge. Der Wein duftet nach etwas Zündholz, Mandarine und zarter exotischer Frucht, Minze ist mit dabei, Holunder und Limettenschale, alles unheimlich animierend, aber vor allem ist die Nase von fein gewobener Mineralität geprägt. Am Gaumen dann dieser vibrierende Zweiklang aus präziser, vielschichtiger Aromatik – um die so stark herauszuarbeiten, hilft der Restzucker übrigens ungemein – und strahlend-frischer Säure. Und klar, wieder herrlich zupackende Mineralität. Dieser Kabinett ist unheimlich griffig und perfekt balanciert, alles aus einem Guss und von großer Spannung. Die Süße ist spürbar, aber eher dezent und agiert als Gegengewicht zur lebendigen Säure. Das ist Kabinett-Kultur auf höchstem Niveau, federnd leichter, aber dennoch komplett ernsthaft-komplexer Weingenuss – ein Meisterwerk. Übrigens: Dank der Restsüße ist das Felseneck ein optimaler Begleiter zu scharf abgeschmeckten Gerichten. Und klar: Als Abschluss eines Dinners ist der Wein ohnehin unschlagbar.

Jetzt bis 2040 (hält wahrscheinlich sogar länger)

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