Poliziano, „Le Caggiole“ DOCG Vino Nobile di Montepulciano, rosso 2018

Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht gestattet – das wissen nicht nur die Lateiner unter uns („Quod licet Iovi, non licet bovi“). Kaum bekannt ist dagegen, dass es sich auch mit dem Jupiterblut im Vergleich zum Ochsenblut so verhält, das im Mittelalter tatsächlich eingesetzt wurde, um dünnen, blässlichen Wein zu pimpen. Jupiterblut („Sangue di Giove“) ist indes nichts anderes als die wörtliche Übersetzung von Sangiovese: Mit dem klaren Ziel, einen reinsortigen Flaggschiff-Sangiovese als sanften „Meditationswein“ im besten Wortsinn zu erzeugen - also mehr auf Eleganz und Raffinesse (statt wie üblich vor allem auf Kraft und Körper) zu setzen - trat „Dottore“ Federico Carletti nach seinem 1978 erfolgreich absolvierten Studium der Agrarwissenschaften an der Universität Florenz an. Er hatte erste Erfahrungen in anderen Betrieben gesammelt, bevor er sich traute, das elterliche Weingut Poliziano kompromisslos auf Qualität zu trimmen, die teilweise schon in den 1940er-Jahren genutzten Anbauflächen neu zu bepflanzen und zu erweitern. Der 14 Hektar große, an der Straße von Montepulciano nach Gracciano auf einer Höhe von 350 Metern gelegene Weinberg „Le Caggiole“ war für sein Vorhaben wie geschaffen: Durch ihre östliche Ausrichtung, ihr Mikroklima und ihre maritimen Kalktuffsteinböden begünstigt diese 40 Jahre alte, aus vier Parzellen bestehende Einzellage sanftere, filigranere, delikatere Weine mit zarteren Tanninen. Leider war die Zeit für einen derartigen Spitzenwein noch nicht reif, als 1988 der erste Caggiole auf den Markt kam. Über Jahre bevorzugten die Kunden des Weinguts die Sangiovese der Einzellage Asinone, deren Lehmböden deutlich mehr Kraft und Opulenz mitbringen. Zwei Jahrzehnte lang, zwischen 1995 und 2015, wurde daher kein Caggiole produziert, bis Federico Carletti seinen Traum angesichts gewandelter Konsumenten-Vorlieben doch noch wahr machte – den Traum von einem eleganten, beinahe burgundisch feinen Vino Nobile. Seine rubinrote, transparente Farbe ist etwas heller als gewohnt. In der Nase verbinden sich saftig-süße, reife Kirscharomen mit Gesteinsmehl, Leder, etwas Tabak sowie leicht erdigen und rauchigen Nuancen. Hinzu kommt die Würze von Thymian und Eukalyptus sowie etwas frisch geriebener Orangenschale. In konischen Edelstahlfermentern 20 Tage lang vergoren und je nach Fass 16 bis 18 Monate in französischen tonneaux ausgebaut (mit einem Drittel neuem Eichenholz), lässt sich auch eine zarte Vanille-Note wahrnehmen. Im Mund kehren die erwähnten Aromen zurück, gestützt durch ein Rückgrat aus sanft geschliffenen Tanninen. Ein leichtfüßiger, sinnlicher, außergewöhnlich finessenreicher Vino Nobile, der seine charmanten Fruchtaromen, seine salzige Mineralität und seine pikanten Würznoten fein ausbalanciert.

Mit Luft in der Karaffe kann man diesen Vino Nobile schon jetzt genießen, idealerweise aber zwischen 2025 und 2040.

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