Magazin
6. März 2003
Jahrgang 2002
im Languedoc-Roussillon und in der Provence
Hier ein Bericht zum Jahrgang 2002 im Midi (Languedoc-Roussillon, Provence), unmittelbar nach Rückkehr von einer faszinierenden Rundreise.
Um das Fazit vorwegzunehmen: Niemals zuvor habe ich einen uneinheitlicheren, ja fast irregulären Jahrgang degustiert als den 2002er im Languedoc-Roussillon und in der Provence.
Es ist ein Jahrgang des Winzers, das haben Sie schon relativ oft gehört. Denn es kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass in allen Weinbauregionen der Welt die Bedeutung der verallgemeinernden Jahrgangseinschätzungen zurückgeht und die Arbeit des einzelnen Winzers zum entscheidenden Faktor wird. Und niemals war obige Aussage zutreffender als im Jahrgang 2002 und stimmt andererseits doch so auch wieder nicht. Denn in diesem JAHRGANG DER EXTREME waren selbst die besten Winzer gebietsweise machtlos den Gewalten der Elemente ausgesetzt: Eloi Dürrbach beispielsweise, der 2000/1 spektakulär schöne Weine produziert hat, wird vom 2002er Jahrgang keine einzige Flasche Trévallon abfüllen, er hat alles deklassiert, da seine Weinberge im Zentrum der sintflutartigen Regenfälle des 9. September lagen, und da ist selbst der talentierteste Meister mit seinen Künsten am Ende.
Insgesamt gesehen ist aber das Klima in der riesigen Weinanbauzone des Midi keineswegs einheitlich, es herrschen ganz im Gegenteil allein schon innerhalb des gigantisch großen Languedoc insbesondere in heterogenen Jahrgängen wie 2002 deutlich vernehmbare Unterschiede, die als große qualitative Differenzen im fertigen Wein schmeckbar sind. Dabei gibt es sowohl große mikroklimatische Ausdifferenzierungen zwischen einzelnen Appellationen, wie beispielsweise den geographisch nahe beieinander liegenden Regionen Montpeyroux (überwiegend nicht vom Regen betroffen) und Pic St. Loup, als auch innerhalb der einzelnen Appellationen selbst. So ertranken beispielsweise im Jahrgang 2002 die nördlich des mythischen Bergriesen Pic St. Loup gelegenen Weinberge in den sintflutartigen Regenfällen des 9. September, während Luftlinie gerade mal 20 km entfernte Parzellen südlich des Pic überhaupt nicht betroffen waren!
So hatten also im gesamten Midi manche Winzer einfach viel Glück, andere waren massiv gefordert. Natürlich kann kein Winzer hexen, sondern muss mit den Gegebenheiten eines Jahrganges leben. Doch was er in harter handwerklicher Arbeit daraus macht, das ist entscheidend, trennt die Spreu vom Weizen und macht deutlich, ob er denn ein wirklich Guter ist. Und so war wieder mal die Arbeit des Winzers im Weinberg entscheidend und eine riskant späte Lese.
Denn vielerorts änderte sich das Wetter nach dem 15. September ganz entscheidend zum Guten, ausgedehnte Spätsommertage und trockene Nordwinde halfen denjenigen Winzern, die neben dem Risiko des langen Wartens auf diesen Wetterumschwung im Weinberg bis zum Umfallen geerntet haben: radikales Aussortieren minderwertiger, faulender Trauben, eine starke Blattwerksausdünnung, um auch den kleinsten Sonnenstrahl einzufangen und mehrfache Handselektion optimal reifer Trauben, all das hat neben dem riskant langen Warten auf bessere Wetterbedingungen in diesem problematischen Jahr erstklassige Ergebnisse erbracht. Diese sind dann die oben angesprochenen Jahrgänge des Winzers. So ist der Jahrgang 2002 im Midi absolut kein mittlerer Jahrgang: Neben Domainen, die ihre Weine erst gar nicht abfüllen, da sie den Unbilden der Regenfälle so sehr ausgesetzt waren,dass einfach nichts mehr zu machen war, werden andere, nicht so qualitätsorientierte Winzer, ihre Plörre auf den Markt werfen, während von mikroklimatisch günstigen Bedingungen profitierende Winzer und solche, die dem Regen nicht extrem ausgesetzt waren und riskant spät ernteten, grandiose Weine abfüllen werden, teilweise noch besser als in 2000/1.
Sehr schön lassen sich alle obigen Ausführungen anhand des relativ kleinen Gebietes des Roussillon belegen. Die Weingüter in der Ebene waren in einem Jahrgang wie 2002 naturgemäß benachteiligt im Vergleich zu den Bergwinzern mit ihren teilweise steilen Parzellen. Alle Winzer in der Ebene, die business as usual betrieben, haben Weine im Keller, die grottenschlecht sind, einfach nur ungenießbare Plörre. Winzer, die eine harte Selektion betrieben, aber zu normalen Zeiten ernteten, werden durchschnittliche, aber annehmbare, früh trinkreife Qualitäten anbieten. Nur wer extrem lange wartete und allen Versuchungen widerstand, an passablen Tagen zu ernten (Jérôme Malet: Mein Önologe flehte mich dann jeweils fast auf den Knien an, doch endlich mit der Ernte zu beginnen) hat grandiose Qualitäten eingefahren: Ein traumhafter Altweibersommer nach dem 15. September, ein trockener, heftig wehender Wind aus dem Norden und Ernte bis in den Oktober hinein erbrachten zwar nach der strikten Selektion ca. 40% weniger Ertrag, aber was da in den Fässern heranreift, scheint auf dem Niveau der grandiosen Zwillingsjahrgänge 00/01 zu liegen. Und die Bergwinzer stehen überwiegend wieder vor einem großen Jahr (wie Forca Real, vielleicht eine Spur weniger konzentriert als im dort sehr opulenten Jahr 01) oder dem vielleicht besten Jahr meiner Winzerkarriere, so Gerard Gauby, der mir schlicht sensationelle Fassproben vorsetzte.
Tino Seiwert